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Statement | Unsere Reaktion nach der Gastveranstaltung „In Bewegung bleiben! Intersektionale Ansätze in der Lesbenbewegung der 80er und 90er - und heute?“ am 18.06.2019

Statement zu unserer Reaktion nach der Gastveranstaltung „In Bewegung bleiben! Intersektionale Ansätze in der Lesbenbewegung der 80er und 90er - und heute?“ am 18.06.2019

Am 18.06.2019 kam es im Rahmen der Gastveranstaltung „In Bewegung bleiben! Intersektionale Ansätze in der Lesbenbewegung der 80er und 90er - und heute?“ im atelier automatique zu einem verbalen rassistischen Übergriff. Nach vielen Prozessen im Hintergrund möchten wir hier noch einmal öffentlich kommunizieren wie wir den Angriff am 18.06.2019 erlebt haben und welche Prozesse wir danach begonnen haben, wie wir dazu stehen und welche Konsequenzen wir gezogen haben. Denn Schweigen war als Reaktion auf Rassismus noch nie eine gute Lösung.

Die Veranstaltung war schon eine Weile im Gange, als eine Besucherin aus dem Publikum wiederholt eine Frau of Color auf dem Podium auf rassistische Weise adressierte. Wir möchten die Ansprache hier nicht reproduzieren, sie reichte von Othering bis hin zu biologisch-rassistischen Aussagen. Es gab noch eine Reaktion vonseiten der Moderation, sowie ein starkes zurückweisendes Statement von der angegriffenen Frau, im Raum machten sich vor allem Stille und Lähmung breit, einzelne Versuche aus dem Publikum, in den länger andauernden Wortbeitrag zu intervenieren, gingen unter. Daraufhin brach die Moderatorin in Absprache mit der angegriffenen Person und einer weiteren Podiumsteilnehmerin die Veranstaltung ab, weil alle drei sich nicht mehr in der Lage sahen, nach dem Übergriff weiterzusprechen. Wir konnten und können die Entscheidung nachvollziehen. Nach dem Abbruch haben wir die Person, von der der Angriff ausging, umgehend aus dem Raum begleitet.

Neben dem Übergriff und der Lähmung in Reaktion darauf hat uns schockiert, dass nach dem Abbruch der Veranstaltung einige Teilnehmerinnen die Moderatorin verbal und eine auch körperlich angingen, weil Teile des Publikums die Entscheidung des Abbruchs und den Versuch eines Schutzraumes für die angegriffene Podiumsteilnehmerin nicht wahrnehmen und akzeptieren wollten.

Einen derartigen Übergriff hatten wir in unseren Räumen bisher nicht erlebt was sich bei dieser feministischen Veranstaltung gegen eine Podiumsteilnehmerin richtete, hat uns erschüttert. Eine schriftliche Entschuldigung bei der angegriffenen Person und den Organisatorinnen des ateliers macht dies nicht ungeschehen.

Diese Stellungnahme ist nun Teil des Anliegens, aus dem Vorfall für die Zukunft zu lernen.

Denn seitdem ist viel passiert. Selbstverständlich haben wir den Übergriff von Anfang an verurteilt und waren auf vielen Ebenen im Gespräch: mit Teilen des Publikums und dem Podium, mit der Betroffenen, aber auch darüber hinaus mit einigen feministisch Aktiven in unserem Umfeld, sowie mit der Person, von der der Angriff ausging. Mit ihr haben wir Anfang August abgesprochen, dass sie bis auf Weiteres nicht in unseren Raum kommt, was weiterhin gilt.

In dem Prozess war uns die Notwendigkeit einer öffentlichen Stellungnahme zunächst nicht bewusst. Inzwischen ist uns klar: Dass wir uns bisher nicht öffentlich geäußert haben, kommt auch als Statement an, ist nicht „neutral“. Als Raumbetreiber*innen, zumal als weiß-Positionierte, sollten wir uns bei derartigen Vorfällen öffentlich äußern.

Wir verstehen auch, dass einige Menschen irritiert darüber waren, dass wir nicht direkt nach dem Vorfall ein Hausverbot ausgesprochen haben und damit das Bedürfnis der Angegriffenen nicht an erste Stelle gestellt haben. Das würden wir aus heutiger Perspektive nicht wieder so machen. Danke an dieser Stelle für solidarische Hinweise. Wir wissen auch, dass wiederum einige die Entscheidung für ein Hausverbot kritisieren, dies als Überreaktion bezeichnen. Klar ist aber, dass wir hier die Bedürfnisse der Betroffenen an erster Stelle sehen, sowie aller anderen, die sich ohne eine derartige Positionierung nicht mehr in unserem Raum willkommen fühlen. Es geht uns bei der Entscheidung für ein Hausverbot nicht darum, Menschen als Ganze abzuschreiben, sondern deutlich zu kommunizieren, dass wir ein derart verletzendes, rassistisches und ausgrenzendes Verhalten nicht akzeptieren und in unseren Räumen nicht dulden.

Nach dem Vorfall kam es in den späteren Klärungsversuchen immer wieder zum Derailing, also zum Verschieben der Aufmerksamkeit vom eigentlichen rassistischen Angriff zum Beispiel auf den Abbruch der Veranstaltung, oder eine (vermeintliche) Ursachenforschung. Aber was auch immer Gründe für Rassismus sind, es gibt keine Rechtfertigung für Rassismus. Leider erleben wir, dass sich bis heute einige mehr für eine vermeintliche Erklärung des Übergriffs zu interessieren scheinen, als dafür, was es für Betroffene heißt, dem ausgesetzt zu sein. Das hat zu weitreichenden Folgen geführt, die Entwicklung ist u.E. äußerst destruktiv und wir sind traurig, dass es so weit gekommen ist. Von der Kraft und Bereitschaft der Betroffenen, sich immer wieder in den Prozess einzubringen, sind wir hingegen zutiefst beeindruckt.

Wir haben das atelier automatique mit dem Wunsch aufgebaut, dass es ein Raum sein kann, in dem sich Menschen trotz gewaltvoller Verhältnisse möglichst sicher fühlen, in dem wir aufeinander aufpassen und uns unserer eigenen Positioniertheit bewusst sind.

An dieser Stelle möchten wir noch kurz auf unsere Struktur im atelier automatique eingehen. Anders als manchmal von außen wahrgenommen, sind wir kein (feministisches) Kollektiv, sondern ein Verein, der gemeinsam die Räume nutzt, mit dem (durchaus politischen!) Ziel, als freie Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen nicht in der Vereinzelung zu versinken, sondern einander nach Möglichkeit zu stärken. Manche von uns arbeiten zusammen, andere nicht. Im Vorstand verwalten wir den Raum, halten ihn instand und betreuen die Mitglieder. Selbstverständlich sprechen wir dabei auch über politische Fragen und teilen eine gemeinsame Grundhaltung. Veranstaltungen organisieren wir aber nur selten zusammen.

Wir versuchen auch weiterhin, nach unseren Möglichkeiten Verantwortung zu übernehmen, damit in diesem konkreten Fall Heilung eintreten kann, aber auch sonst derartige Übergriffe in unseren Räumen in Zukunft nicht mehr stattfinden oder gar toleriert werden.  Zur Vorbereitung der feministischen Aktionstage in Bochum im März und April diesen Jahres fand deswegen z.B. ein Critical Whiteness Workshop statt. Im April gibt es zudem einen Empowerment Workshop für BIPoC, den wir noch ankündigen werden. Wir wissen, dass es hiermit nicht getan ist. Lasst uns im Gespräch bleiben, lasst uns gemeinsam daraus lernen.

atelier automatique, 05.03.2020